Meine Rede zu TOP30 im Oktober Plenum

Meine Rede im Oktober Plenum TOP30 - Prüfung und Erarbeitung eines landesweiten Unterstützungsmodells für Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2
Andrea Prell (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Plenum haben wir wieder mehrfach gehört, welche negativen Eigenschaften insbesondere den von Frau Behrendt so genannten migrantischen Freunden von der AfD zugeschrieben werden. So funktioniert Rechtspopulismus! Sie gründen eine Gruppe: die Guten. Die sind ehrlich, patriotisch, arbeiten hart, sind das Volk der Biodeutschen.
(Harm Rykena [AfD]: Was hat das mit dem Antrag zu tun?)
‑ Zuhören hilft!
Das Volk stellen Sie als bedroht und betrogen durch die Gruppe der Bösen dar. Das sind die Parteien und die Migranten. Ziel dieser Einteilung ist es, die Gesellschaft in Lager zu spalten, um klare Fronten zu schaffen. Genau diese Spaltung ist der Untergang für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Es ist damit auch das Gegenteil von Entlastung für die Pflege. Denn sie braucht vor allem ein funktionierendes Miteinander, eine gute Nachbarschaft, ein gutes gesellschaftliches Miteinander im Wohnquartier und eine solidarische Gemeinschaft, die sich gern gegenseitig unterstützt und trägt.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Mit Ihrer Politik erreichen Sie das Gegenteil: Das ist der Untergang der Pflege, sowohl für die professionelle Pflege als auch für die Angehörigenpflege.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Die Wahrheit ist: Schon jetzt würde das System ohne Pflegekräfte aus dem Ausland zusammenbrechen. Sie haben die pflegenden Angehörigen genannt; das ist richtig. Aber auch ohne die ausländischen Pflegefachkräfte und Pflegehilfskräfte wäre das System nicht mehr zu stemmen. Denn heute hat bereits jede fünfte Pflegekraft einen Migrationshintergrund, in der Altenpflege ist es jede dritte Pflegekraft.
In den nächsten Jahren werden zahlreiche Pflegekräfte in Rente gehen und stehen dem Markt dann nicht mehr zur Verfügung. Zeitgleich wächst die Zahl der Pflegebedürftigen drastisch weiter an.
Es ist vollkommen illusorisch, zu glauben, dass ein Land mit überalterter Bevölkerungsstruktur aus eigener Kraft ohne den Zuzug von Menschen aus anderen Ländern das System Pflege auch in Zukunft wird stemmen können.
Vizepräsidentin Dr.in Tanja Meyer:
Frau Prell, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Antrag auf eine Zwischenfrage von Frau Klages. Möchten Sie sie zulassen?
Andrea Prell (SPD):
Da auf meine letzten fünf Versuche eine Zwischenfrage auch nicht zugelassen wurde: Danke nein!
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Diese so dringend benötigten Menschen werden aber nicht zu uns kommen, wenn sie sich bei uns nicht willkommen fühlen und wenn sie durch Rechtsextremismus um ihre Sicherheit fürchten müssen.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Sie verstärken absichtlich die ohnehin schon prekäre Lage durch Ihre sich ständig wiederholende Rhetorik „Messermänner“ und „Kopftuchmädchen“, wie sie von Ihrer Chefin im Bund zu hören ist.
(Stephan Bothe [AfD]: Sie hat nichts zu sagen! Nur Gerede! Nur Gelaber!)
‑ Doch, das kommt noch! Einfach ruhig bleiben! Dann werden Sie vielleicht noch Inhalte hören.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Marten Gäde [SPD]: Nur Gelaber hören wir hier von Ihnen!)
‑ Ich lerne von dieser Seite.
(Zuruf von Stephan Bothe [AfD] - Gegenruf von Marten Gäde [SPD]: Hören Sie doch mal zu! - Stephan Bothe [AfD]: Was soll ich denn da hören? - Unruhe - Glocke der Präsidentin)
Vizepräsidentin Dr.in Tanja Meyer:
Hören Sie jetzt bitte mal alle Frau Prell zu! Denn sie hat das Wort.
Bitte!
Andrea Prell (SPD):
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
(Zuruf von der AfD: Zur Sache!)
Frau Klages, Sie sagten hier gestern, Sie könnten ambitionierte Pläne von Schaufensteranträgen unterscheiden. Offensichtlich ist das nicht ganz richtig, denn dieser Antrag ist genau das: ein Schaufensterantrag,
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Fishing for Compliments, ein Placebo, um beim Thema Pflege zu bleiben. Denn mit Blick auf Bayern zeigt sich ja: Das Landespflegegeld wird ab dem 1. Januar 2026 halbiert. Bislang gab es 1 000 Euro. Ab dem 1. Januar sind es noch 500 Euro, und zwar nicht im Monat, sondern im Jahr - im Jahr!
Die langfristige Finanzierung ist auch im reichsten Bundesland angesichts des demografischen Wandels und der angespannten Haushaltslage unter Druck. Ein pauschal ausgeschütteter Geldbetrag, ohne systematische Versorgungskapazitäten und Entlastungsangebote zu schaffen, hilft nicht. Ein Geldbetrag behebt keinen einzigen strukturellen Engpass, macht Kurz- und Tagespflegeplätze sowie helfende Menschen zur Entlastung nicht automatisch verfügbar.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Die tatsächliche Entlastung bleibt in Bayern sehr begrenzt. Davon kann sich die Betroffene am Ende auch nichts kaufen.
Ich habe mir die Mühe gemacht, zum Pflegesachverstand Ihrer Partei in Ihr Bundesprogramm hineinzuschauen. Daraus will ich mal ein paar Sachen vortragen:
„Um Anreize für eine … Ausbildung … in der Altenpflege zu schaffen, sollte“ ‑ entgegen allen Stimmen aus der Wissenschaft der Pflege und von sämtlichen Pflegeverbänden ‑ „die Ausbildungszeit auf zwei Jahre verkürzt werden, denn junge Menschen wollen schnell in das Berufsleben einsteigen.“ Sie sollen gut qualifiziert sein, sich sicher und kompetent fühlen und den Angehörigen und Pflegenden gegenüber Sicherheit vermitteln. Das aber wollen junge Menschen offenbar nicht. Zu dieser Ausbildung gehören Anatonomie, Physiologie, Krankheitslehre, Pharmakologie, Validation - der komplette Pflegeprozess. Das kann man nicht in zwei Jahren lernen!! Das ist schier utopisch, es sei denn, man dequalifiziert sich weiter herunter.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Claudia Schüßler [SPD]: Mit der Folge von weniger Gehalt!)
Nächster Punkt im Programm. Jetzt kommt es: „Allein mit inländischen Pflegekräften … wird die Fachkraftlücke bis 2030 nicht zu schließen sein.“ Immerhin haben Sie das erkannt. - Ein Spoiler: Sie wird auch bis 2045 nicht zu schließen sein. Glückwunsch zu dieser Erkenntnis!
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Jetzt geht es aber weiter. Es bedarf „einheitlicher Regelungen hinsichtlich der vorzuweisenden Sprachkenntnisse …, der Befristungen und der vorgesehenen Rückkehrmöglichkeiten“. Keine Perspektive in Deutschland für die Menschen, die uns hier den Allerwertesten retten! Kein Familiennachzug! Keine Dankbarkeit für die Menschen, die uns hier durch diese Krise helfen!
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie von Barbara Otte-Kinast [CDU])
Es geht munter weiter. Nächster Punkt: Moderne Standards, wie sie bereits im europäischen Ausland gelten, sollen angepasst werden. - Noch mal ein Spoiler: Ihre Vorschläge zur Dequalifizierung entfernen uns noch mehr von den Standards um uns herum. Fast weltweit ist Pflege ein Studiengang. Denn mit Ihren Vorschlägen wird es weiter dequalifiziert. Das ist das Gegenteil dessen, was Sie in Ihrem eigenen Programm stehen haben.
(Beifall bei der SPD)
Vertretung und Selbstverwaltung, Voranbringen der Profession und Zwangsfortbildungen möchte man auch nicht.
Jetzt ein Punkt, der sich erst einmal gut anhört: Leistungen von pflegenden An- und Zugehörigen sollen genauso vergütet werden wie pflegende Leistungen durch soziale Einrichtungen. - Zu Ihren Gunsten habe ich das mal berechnet und dabei nicht das Gehalt einer Pflegefachkraft zugrunde gelegt, sondern die 1 000 Euro, aber pro Monat. Sie haben diese Zahl ja genannt, Frau Klages. Ich bin davon ausgegangen: 600 000 Pflegebedürftige in Niedersachsen mal 1 000 Euro pro Monat macht 600 Millionen Euro mal zwölf macht 7,2 Milliarden Euro. - Das ist fast das Haushaltsvolumen des Sozialhaushaltes. Schwierig!
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Dann bleibt noch 1 Million Euro für den ganzen Rest übrig. Ich möchte gerne wissen, wie Sie den Menschen erklären wollen, wie wenig dann übrigbleibt.
Aber trotz dieser großen Anerkennung heißt es weiter: Pflegende Angehörige sollen unterstützt und kontrolliert werden, um eine hochwertige Versorgung sicherzustellen. - Diese Sicherstellung und Kontrolle erfolgen dann also durch das dequalifizierte Personal ohne Bleibeperspektive. - Hut ab!
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Ich spare mir die anderen Seiten. Die Zeit rennt ein bisschen davon.
Dies ist die Woche der pflegenden Angehörigen. Deshalb möchte ich die Chance nutzen und mich an dieser Stelle bei der Organisation „wir pflegen in Niedersachsen e. V.“ und allen, die daran beteiligt waren, für die tolle Auftaktveranstaltung im Leibnizhaus am Montag herzlich bedanken. Ich möchte mich sehr herzlich bei meinen Kolleg*innen Eva Viehoff und Jan Bauer bedanken, mit denen wir immer eine konstruktive Zusammenarbeit gepflegt haben, um das vorzubereiten. Ganz herzliche Grüße gehen auch raus ‑ das sei mir erlaubt ‑ an meinen Wahlkreis, in dem sich die Kinos in Gronau und Alfeld gestern an der landesweiten Aktion der Woche der pflegenden Angehörigen beteiligt haben.
Herzlichen Dank.
(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)